Rezension Katalog zu Ausstellung „Kaleidoskop Expressionismus - vom Aufbruch in die Moderne zur NS-Verfemung“, Kallmann-Museum, Ismaning, 26. Juni bis 16. Oktober 2022

Die Ausstellung hat Künstler präsentiert, die von den Nationalsozialisten diffamiert und verfolgt wurden. Die Werke aus der Sammlung von Gerhard Schneider bilden einen Querschnitt der Kunstströmungen zwischen 1910 und 1937 ab: Expressionistische Frühwerke, sozialkritische Großstadtszenen, religiöse Motive, Landschaften, Porträts, karikaturhafte Zeichnungen, viele Druckgrafiken, aber auch Aquarelle, Radierungen und Ölgemälde. Der Sammler schreibt zum Profil „mit über 6.000 Werken von fast 600 Künstlerinnen und Künstlern […]“ wolle er „[…] mehr Licht in übersehene oder auch vernachlässigte Sichtweisen […]“ bringen.

Der gleichnamige Katalog ist die nunmehr siebte umfangreiche Publikation zu dem Thema. Der 462-seitige im A-4 Überformat gestaltete Katalog will „die Verwerfungen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt in den Blick rücken.“ Zwei Strömungen sorgten dafür: der Nationalsozialismus und die anschließende Teilung Deutschlands. Auf der östlichen Seite „politisch gewollte Vorgaben“, auf der westlichen „vermeintlich historisch gegebene folgerichtige Entwicklungstendenzen“, wie die Herausgeber im Vorwort aufzeigen. Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museums, und der Sammler Dr. Gerhard Schneider sehen heute die Möglichkeit eins „offenen Blicks“ für die „Interpretation der kunstgeschichtlichen Verläufe im 20. Jahrhundert“. In der späten Weimarer Republik war der beginnende Nazifaschismus für die an der Moderne orientierten KünstlerInnnen noch nicht greifbar. „Erst nach der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 erlebten alle an Weltoffenheit Orientierten ihr böses Erwachen in einem Staat, der sein kleinbürgerliches Denken zum Maßstab aller durchzusetzen begann.“

In 6 Kapiteln stellt der Katalog die verschiedenen Künstler vor. Von expressionistischen Anfängen bis in die Zeit des I. Weltkrieges, über Politik und Gesellschaft im Spiegel expressiver Kunst (I. Weltkrieg – Weimarer Republik bis NS-Staat 1937) und jüngerer Expressionismus bis Mitte der 1920er Jahre bis hin zu Hamburger Seccession als Bsp. einer Künstlervereinigung der Moderne.

 

Otto Nagel ist als Künstler in das Kapitel V „Menschen und Landschaften in der Vielfalt expressiver Sichtweisen zwischen 1925 und dem NS-Kulturbruch“ eingeordnet. Künstler zwischen 1890 und 1905 geboren, eine Generation, die den Ersten Weltkrieg erlebt hatte. Diese haben „[…] erst nach dieser einschneidenden Erfahrung zu einer eigenständigen künstlerischen Sprache gefunden. Eine Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksformen, sie lassen sich nicht unter einem Stil fassen „[…] Ein reiches Kaleidoskop expressiv-gegenständlicher Bilder“: Kubismus, früher Expressionismus, Neue Sachlichkeit, „Spiel mit extremen Kontrasten kräftiger Farben“.

Rasmus Kleine stellt in seinem Artikel Nagels „Berliner Straßenszene“ dem Bild von Robert Liebknecht (1903-1994) „Straße in Berlin-Wedding“ gegenüber. Otto Nagel vorgestellt als Künstler, der nach dem Malverbot für das Atelier, die Straße zu seinem Freiluftatelier machte. Hervorgehoben die Freundschaft der beiden Künstler und dass Nagel einige Bilder von Liebknecht aufbewahrte nach dem dieser vor den Nazis 1933 nach Paris floh. Dem Sohn von Karl Liebknecht war Otto Nagel und auch Käthe Kollwitz schon lange verbunden, förderten doch beide dessen künstlerischen Weg.

Otto Nagel: „Berliner Straßenszene“, um 1934/37, Öl auf Leinwand, 52 x 61 cm

[…] der malerische Auftrag der Farbe, die kaum von Konturen begrenzt wird, unmittelbar, doch weniger expressionistisch-frei als bei Liebknecht, wodurch die Motive in der düsteren Atmosphäre des trüben Tages detaillierter ausgestaltet sind.“

Das letzte Kapitel ist den Werken aus der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 gewidmet. Ein spannender Bogen, der die Vielzahl der Vertreter der Moderne zeigt. Ein Aufbruch der jäh durch die NS-Verfemung niedergeschlagen wurde. So ist der Titel „Kaleidoskop Expressionismus“ sehr gut gewählt und drückt die außerordentliche Vielfalt der künstlerischen Strömungen aus, die in den Bildern zu finden sind. Der Katalog sollte in keinem Bücherregal fehlen und lädt immer wieder zu blättern und vertiefenden Lesen ein.

Der Katalog ist über den Shop vom Kallmann-Museum zu beziehen.

 

KUNST = Mensch = Kreativität = Freiheit“    (Joseph Beuys)